Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Der Countdown läuft – Arbeitgeber müssen Whistleblower besser schützen

Die Europäische Union plant schon seit einiger Zeit einen besseren Schutz von Whistleblowern zur Verbesserung der Compliance in Unternehmen. Nunmehr ist es soweit. Am gestrigen Dienstag (16.04.2019) verabschiedete das EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit der Stimmen (591 zu 29 bei 33 Enthaltungen) die EU Whistleblower-Richtlinie. Damit läuft der zwei-Jahres-Countdown für die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht.

Worum geht es?

Whistleblowing im rechtlichen Sinne ist eine Meldung illegaler, gefährlicher oder unethischer Handlungsweisen durch Insider. Im Arbeitsrecht liegt der Schwerpunkt auf der Meldung von Fehlverhalten durch Arbeitnehmer entweder intern an Vorgesetzte, Geschäftsleitung, die Personalabteilung, an hierfür vorgesehene Vertrauenspersonen (Ombudsmann/frau) oder eine speziell dazu eingerichtete Hotline. Alternativ dazu kann die Meldung auch extern an zuständige Behörden und/oder die Öffentlichkeit (Medien) erfolgen. Dabei kann eine Meldung anonym, vertraulich oder offen mit Namensnennung erfolgen.
Die Europäische Union sieht Whistleblower als wichtiges Element zur Durchsetzung einer umfassenden Compliance in Unternehmen und geht davon aus, dass negative Aspekte wie Bespitzelung und die Meldung aus unlauteren, insbesondere eigennützigen Motiven, zu vernachlässigen ist. Dementsprechend billigt die EU-Richtlinie Whistleblowern einen besonderen Schutz zu, der weit über bisherige Standards hinausgeht.

Wie ist der Status Quo in Deutschland?

Der Schwerpunkt der bisherigen Whistleblower-Rechtsprechung liegt auf dem Kündigungsschutz, nach einer Meldung war es nicht selten der Whistleblower selbst, der in den Fokus des Arbeitgebers geriet. Allerdings gab es auch Fälle, in denen (zu Recht oder zu Unrecht) beschuldigte Arbeitnehmer gekündigt wurden und sich hiergegen zur Wehr setzten.
Das Bundesarbeitsgericht verlangte in Ermangelung einer speziellen Gesetzgebung, dass sich ein interner Whistleblower primär an die innerbetrieblich zuständigen Stellen zu wenden hatte und nachweisen musste, dass er in gutem Glauben an das Vorliegen einer Straftat und vorrangig mit Aufdeckungsabsicht handelte.
Ungeachtet einiger weniger Sondergesetze, insbesondere in der Finanzdienstleistungsbranche (Wertpapierhandelsgesetz, Geldwäschegesetz, Finanzdienstleistungsgesetz), und einigen europarechtlich initiierten Spezialgesetzen wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, der Datenschutzgrundverordnung und dem neuen Geschäftsgeheimnisgesetz (siehe dazu unseren Newsletter vom 29.3.2019) gab es keine Spezialregelungen zu Whistleblowing. Insbesondere gab es (abgesehen von der Finanzbranche) keine generelle Pflicht ein Meldesystem einzurichten.
Aufgrund des nach der Rechtsprechung bestehenden hohen persönlichen Risikos für Whistleblower, selbst in den Fokus arbeitsrechtlicher Maßnahmen zu geraten, war Whistleblowing in Deutschland kein zentrales arbeitsrechtliches Thema.

Was sagt die Richtlinie aus?

Dies wird sich nunmehr mit der neuen EU-Richtlinie und den zu erwartenden nationalen Gesetzesvorschriften ändern.
Besonders hervorzuheben ist die künftig bestehende Pflicht zur Einrichtung eines internen Whistleblower-Kanals ab 50 Arbeitnehmern oder einem Umsatzerlös/einer Bilanzsumme von mehr als 10 Millionen Euro. Die Richtlinie sieht dazu folgende weitere Details vor:

  • Meldeoptionen: schriftlich, telefonisch, elektronisch oder persönliches Gespräch
  • Vertraulichkeit (nicht: Anonymität) muss gewährleistet sein
  • Bestellung eines Verantwortlichen im Unternehmen
  • Informationspflicht über das Whistleblowing System gegenüber Arbeitnehmern
  • Das Whistleblowing muss auch für Kunden/Lieferanten/freie Mitarbeiter zugänglich sein
  • Verpflichtung zu Sachstandsmitteilung an den Anzeigenerstatter spätestens nach 3 Monaten
  • Verpflichtung zur Beachtung der betrieblichen Mitbestimmung

Darüber hinaus sieht die Richtlinie eine Pflicht für die Mitgliedstaaten zur Schaffung externer Whistleblowing-Behörden vor. Zwar kommen hierfür grundsätzlich auch bereits bestehende Behörden (wie z. B. Staatsanwaltschaften) in Betracht, jedoch erfasst die Whistleblowing-Richtlinie auch den Bereich unterhalb der Strafbarkeit, sodass durchaus auch zu erwarten steht, dass weitere zuständige Stellen geschaffen werden. In der Richtlinie konnten nur Bereiche als meldepflichtig ausgestaltet werden, die der Gesetzgebungskompetenz der EU unterliegen. Sie sieht allerdings ausdrücklich vor, dass der nationale Gesetzgeber, Meldepflichten und damit den Schutz von Whistleblowern auch auf andere Rechtsbereiche erstrecken kann, die lediglich der nationalstaatlichen Gesetzgebung unterliegen.
Besonders wichtig ist die Regelung in der Richtlinie, dass auf Seiten des Anzeigenerstatters (Whistleblowers) Gutgläubigkeit ausreicht, eigennützige Motive sind hingegen nicht relevant. Eine Gewissenserforschung, wie bisher nach der BAG-Rechtsprechung, findet daher nicht mehr statt, es reicht vielmehr aus, dass der Whistleblower darlegen kann, gutgläubig von einem Fehlverhalten des Unternehmens ausgegangen zu sein.
Im Gegenzug genießt der Anzeigenerstatter einen umfassenden Schutz vor Repressalien, dies gilt für alle Bereiche des Arbeitsrechts, nicht nur für Kündigungen. Ein Whistleblower, der die Tatsache der Anzeigenerstattung und einen konkreten Nachteil nachweist, z. B. bei einer Beförderung übergangen worden zu sein oder keinen oder einen geringeren Bonus als seine Arbeitskollegen erhalten zu haben, hat damit bereits die Kausalität für eine Benachteiligung glaubhaft gemacht. Das Whistleblowing muss dabei weder der einzige noch der dominante Grund für eine Benachteiligung sein. Im Gegenteil muss der Arbeitgeber in derartigen Fällen nachweisen, dass das Whistleblowing bei der arbeitsrechtlichen Entscheidung (Bonusbemessung, Beförderungsentscheidung) keine Rolle gespielt hat.
Dabei wird durchaus problematisch gesehen, dass ein Whistleblower durch eine „gutgläubige“ Anzeige auch Vorteile für sich generieren kann, wie z. B. einen besonderen Kündigungsschutz. Dies wird von der EU allerdings in Kauf genommen, da statische Erhebungen gezeigt hätten, dass ein Missbrauch nur sehr selten vorkomme.

Abgestuftes Meldesystem

In der Diskussion der Richtlinie auf europäischer Ebene wurde kontrovers diskutiert, ob es einen Vorrang interner Meldungen geben soll. Man hat sich schließlich auf ein abgestuftes System geeinigt. Danach muss sich ein Whistleblower sich grundsätzlich vorrangig an interne zuständige Stellen, also insbesondere die einzurichtende Meldestelle, halten.
Lediglich dort, wo eine Gefährdung der Ermittlungen droht oder eine begründete Sorge vor Vergeltungsmaßnahmen besteht oder die Offenbarung der Identität des Anzeigenerstatters zu befürchten steht, kann sich dieser direkt an eine externe Meldestelle wenden.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass in kleinen Unternehmen (z. B. mit weniger als 50 Arbeitnehmern, in denen keine Verpflichtung zur Schaffung eines internen Meldesystems besteht) unverzüglich eine externe Meldung erfolgen kann, ohne dass die vorgenannten Voraussetzungen vorliegen müssen. Folgerichtig werden sich auch viele kleinere Unternehmen, für die an sich keine Verpflichtung zur Schaffung eines internen Meldesystems besteht, überlegen ein solches System zu schaffen. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass eine Meldung über ein (vermeintliches) Fehlverhalten unverzüglich an die Öffentlichkeit gelangt.
Eine direkte Meldung des Whisteblowers an die Öffentlichkeit, insbesondere Medien, kommt nur bei unmittelbarer oder offensichtlicher Gefährdung des öffentlichen Interesses in Betracht.

Whistleblowing und Datenschutz – wie passt das zusammen?

Der Richtlinien-Entwurf enthält zu dem sensiblen Thema Datenschutz lediglich einen Verweis auf den nationalen Gesetzgeber. Naturgemäß spielen persönliche Daten im Whistleblowing-Prozess, sowohl auf Seiten des Hinweisgebers als auch der beschuldigten Person eine große Rolle. Dementsprechend sensibel ist in dem Meldeverfahren mit den Daten der Betroffenen umzugehen. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass nach Inkrafttreten des nationalen Whistleblowing-Gesetzes eine Rechtsgrundlage nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO für die Datenerhebung vorhanden ist und nicht wie heute aus einer Interessenabwägung gewonnen werden muss.
In der Praxis werden künftig aller Voraussicht nach in vielen Unternehmen Betriebsvereinbarungen eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung von Meldesystemen und damit auch der Wahrung der Datenschutzbelange der Betroffenen spielen.

Neues Geschäftsgeheimnisgesetz

Auch im Rahmen des neuen Geschäftsgeheimnisgesetzes, war das Whistleblowing ein wesentlicher Streitpunkt. Die verzögerte Umsetzung der EU-Geschäftsgeheimnisrichtlinie in das deutsche Recht war wesentlich auf in letzter Stunde vorgenommener Änderungen zum Schutz von Whistleblowern zurückzuführen. Nachdem ursprünglich das Whistleblowing ein Rechtfertigungsgrund war, enthält das Geschäftsgeheimnisgesetz nunmehr einen Tatbestandsauschluss, d. h. ein Whistleblower, der im Rahmen seiner Meldung Geschäftsgeheimnisse offenbart, verwirklicht nicht einmal den Tatbestand des Geschäftsgeheimnisverrats.

Fazit:

Die Arbeiten an einem deutschen Whisteblowing-Gesetz werden nunmehr beginnen. Nach den Erfahrungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes und des EU-Gesetzgebungsverfahrens zur Whistleblower-Richtlinie kann durchaus damit gerechnet werden, dass das Whistleblowing weit mehr an Rechtsbereiche erfassen wird, als von der EU-Richtlinie vorgesehen ist.
Arbeitgeber sind jetzt aufgerufen, bestehende Whistleblowing Systeme an die Richtlinie und das künftige nationale Gesetz anzupassen bzw. solche Systeme erstmals zu schaffen. Damit wird das Whistleblowing auch in Deutschland eine weit größere Bedeutung als bisher erhalten und Arbeitgeber sowohl bei der Schaffung und Unterhaltung entsprechender Systeme als auch in der praktischen Umsetzung (einschließlich der Durchführung interner Ermittlungsverfahren) vor neue Herausforderungen stellen.