Der Arbeitgeber kommt in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt. Der praktisch häufigste Fall des Annahmeverzugs tritt bei der Nichtbeschäftigung im Anschluss an eine unwirksame Arbeitgeberkündigung oder eine unwirksame Befristung ein. Annahmeverzug liegt aber auch im Falle einer Freistellung durch den Arbeitgeber vor, die häufig für den Lauf der Kündigungsfrist ausgesprochen wird.
Grundsätzlich behält der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber sich im Annahmeverzug befindet, d.h. der Arbeitgeber muss den Lohn weiter zahlen, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. Der Arbeitnehmer muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Das ergibt sich aus der Vorschrift des § 615 BGB.
Wann sich Arbeitgeber im Rahmen des Annahmeverzugs auf ein „böswilliges Unterlassen“ eines anderweitigen Verdienstes des Arbeitnehmers berufen können, ist aktuell ein großes Thema. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Bemühungen der Arbeitnehmer entfalten muss, um einen anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Bisher war auch der Zeitpunkt, ab dem der Arbeitnehmer ernsthafte Bewerbungsbemühungen unternehmen muss, nicht abschließend geklärt. Unklar war insbesondere, ob der Arbeitnehmer im Falle einer Freistellung auch schon vor Ablauf der Kündigungsfrist nach einer neuen Stelle suchen muss.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun in einer neuen Entscheidung vom 12. Februar 2025, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, diese Frage geklärt.
Der Fall im Überblick
Ein Senior Consultant klagte seine Vergütung für die Kündigungsfrist ein. Während der Kündigungsfrist war er vom Arbeitgeber freigestellt worden. Der Arbeitgeber hatte ihm schon zu Beginn der Freistellung 43 Stellenangebote übermittelt, auf die er sich aber erst kurz vor Ende der Kündigungsfrist bewarb. Daher verweigerte der Arbeitgeber die Lohnzahlung für die Kündigungsfrist mit dem Hinweis auf einen böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst.
Kernaussagen des BAG
Der Arbeitgeber schuldet bei einseitiger Freistellung die volle Vergütung während der Kündigungsfrist. Arbeitnehmer sind nicht verpflichtet, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Stelle anzutreten. Eine „böswillige“ Unterlassung anderweitigen Verdienstes liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer erst zum Ende der Kündigungsfrist eine neue Beschäftigung sucht.
Praktische Bedeutung für Ihr Unternehmen
Die Entscheidung bedeutet, dass eine Anrechnung fiktiven Verdienstes während der Kündigungsfrist kaum durchsetzbar ist. In der Kündigungsfrist trägt der Arbeitgeber das Vergütungsrisiko auch dann, wenn er dem Arbeitnehmer alternative Beschäftigungsangebote aufzeigt und dieser untätig bleibt.
Fazit / Handlungsempfehlungen
Auch wenn das BAG der Anrechnung fiktiven Verdienstes während der Kündigungsfrist eine Absage erteilt, war die Idee des Arbeitgebers im vorliegenden Fall nicht grundsätzlich falsch. Nach Ablauf der Kündigungsfrist sieht die Situation nämlich ganz anders aus: Obsiegt ein Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess, hat er grundsätzlich einen Anspruch auf den entgangenen Lohn für die Zeit zwischen dem Ende der Kündigungsfrist bis zur Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, den sog. Annahmeverzugslohn. Ein Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen. Mit dieser Fallgruppe hat sie die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren wiederholt befasst, zuletzt etwa BAG vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/23). Um ein solches Unterlassen nachzuweisen kann die Übersendung von Stellenanzeigen an den Arbeitnehmer ein durchaus probates Mittel sein. Damit kann das Risiko des sogenannten Annahmeverzugslohns erheblich reduziert werden. Nur für die Zeit der Freistellung während der Kündigungsfrist funktioniert das nach der neuen Entscheidung jedoch nicht.