Hängt die variable Vergütung eines Arbeitnehmers von den jährlichen Vorgaben des Arbeitgebers über die zu erreichenden Unternehmensziele sowie von individuellen Zielen ab, müssen diese Ziele auch rechtzeitig mitgeteilt werden. Verletzt der Arbeitgeber seine arbeitsvertragliche Pflicht schuldhaft, indem er die Zielvorgaben nicht oder verspätet mitteilt, kann der Arbeitnehmer Schadenersatz für die dadurch entgangene Vergütung verlangen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktuellen Entscheidung (19.02.2025, AZ: 10 AZR 57/24) klargestellt.
Überblick
Im konkreten Fall klagte eine Führungskraft erfolgreich Schadensersatz ein, nachdem der Arbeitgeber keine individuellen Ziele vorgegeben und die Unternehmensziele erst nach neun Monaten des Zielzeitraums kommuniziert hatte. Damit verstieß das Unternehmen gegen die in einer Betriebsvereinbarung festgelegte Frist zur Zielvorgabe, die den 1. März als Stichtag vorsah.
Wichtig: Unterscheidung der Zielsetzungssysteme
Die Entscheidung des BAG betrifft speziell Fälle, in denen der Arbeitgeber berechtigt ist, die Ziele einseitig festzulegen. Die Rechtslage stellt sich etwas anders dar, wenn die vertraglichen Regelungen eine gemeinsame Zielvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorsehen. In solchen Fällen können auch den Arbeitnehmer Mitwirkungspflichten treffen, deren Verletzung sich auf etwaige Schadensersatzansprüche auswirken kann. Entscheidend ist daher die genaue Ausgestaltung des vereinbarten Zielsetzungssystems.
Zentrale Aussagen des BAG
Das Gericht stellt in seiner Entscheidung klar, dass verspätete einseitige Zielvorgaben ihre Motivations- und Anreizfunktion verfehlen. Kennt der Arbeitnehmer seine Ziele nicht, kann er sie typischer Weise nicht erreichen. Dies soll aber nicht dazu führen, dass der Arbeitnehmer deshalb seine variable Vergütung ganz oder teilweise verliert. In solchen Fällen steht dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch zu, dessen Höhe sich an der üblichen Zielerreichung orientiert. Besonders bedeutsam ist die Feststellung des Gerichts, dass bei einseitigen Zielvorgaben der Arbeitgeber die alleinige Initiativlast trägt. Versäumnisse des Mitarbeiters spielen keine Rolle.
Praktische Auswirkungen für Unternehmen
Die Entscheidung hat weitreichende praktische Konsequenzen für Unternehmen. Im Falle verspäteter einseitiger Zielvorgaben droht die Verpflichtung zur vollen Bonuszahlung als Schadensersatz, ohne dass eine nachträgliche Festlegung der Ziele durch die Gerichte möglich wäre. Dies kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen, wenn organisatorische Versäumnisse vorliegen.
Konkrete Handlungsempfehlungen
Für Unternehmen ist es also essentiell, ihre eigenen Vergütungssysteme konsequent anzuwenden. Dabei sollte zunächst klar sein, ob es sich um ein System einseitiger Zielvorgaben oder echter Zielvereinbarungen handelt. Die vertraglichen Grundlagen müssen präzise regeln, wie der Zielfindungsprozess ausgestaltet ist und welche Mitwirkungspflichten bestehen.
Ein systematisches Tracking der Zielsetzungsprozesse ist unabdingbar. Dabei sollten sowohl Mitwirkungsaufforderungen als auch die vereinbarten Ziele sorgfältig dokumentiert werden. Klare Zuständigkeiten und verbindliche Termine sind hilfreich. Die unmittelbar verantwortlichen Führungskräfte müssen verinnerlichen, dass die rechtzeitige Erledigung ihrer konkreten Aufgaben zum Thema Zielvorgabe / Zielvereinbarung keine lästige Formalie darstellt sondern unmittelbare ökonomische Konsequenzen für das Unternehmen haben kann.
Fazit
Die Entscheidung des BAG macht deutlich, wie wichtig es ist, Zielvereinbarungsprozesse sorgfältig zu gestalten und auch tatsächlich zu verfolgen. Insbesondere bei einseitigen Zielvorgaben müssen sich die Unternehmen an die selbst gesetzten Fristen halten. Wo die internen Regularien keine klaren Fristen vorgeben gilt der Grundsatz, dass die Zielsetzung vor oder zumindest zu Beginn der jeweiligen Zielperiode vorliegen sollte. Bei echten Zielvereinbarungssystemen empfiehlt sich eine klare vertragliche Regelung der gegenseitigen Pflichten, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Ebenso wichtig ist eine sorgfältige Dokumentation der getätigten Zielvorgaben und abgeschlossenen Zielvereinbarungen, um im Streitfall sowohl den Inhalt wie auch den jeweiligen Zeitpunkt beweisen zu können.